Brücken in die Zukunft
01 October 2010
 

Brücken in die Zukunft 1

Venedig, Ende Augttst 2010. Die „Scuola Grande de la Misericordia“ steht zumeist recht unbeachtet in einem ruhigen Viertel von Venedig. Der mächtige Backsteinbau ist eine Mischung aus Kirche und Zunfthaus und seit 500 Jahren unvollendet. Vor zehn Jahren verschandelte man sie mit groben Betoneinbauten sogar zur Sporthalle, irgendwann soll einmal ein Konzertsaal daraus werden. Im Sommer 2010, anlässlich der Architektur-Biennale, wurde das Gebäude dann ganz unerwartet genutzt: Als Zukunfts-Werkstatt. Im methaphorischen Sinne wurde die Scuola Grande de la Misericordia zu einer riesigen Glaskugel, in die die Auguren schauten, um Umrisse unserer künftigen Lebenswelt zu erkennen.

„Wie wird die Stadt der Zukunft aussehen? “, stand als große Frage im Raum. Gestellt wurde diese Frage von Audi, was auf den ersten Blick überraschen mag. Auf den zwei-ten Blick ist es für einen Automobilhersteller geradezu zwingend, hier nach Antwor-ten zu suchen. Das Automobil ist ein integraler Bestandteil des Lebenssystems Stadt, und die urbane Entwicklung wird sich ganz unmittelbar auf das Automobil und die verschiedenen Formen der Mobilität auswirken. Um das Thema möglichst offen an-zupacken, wurde der „Audi Urban Future Award “ ausgeschrieben und zusammen mit der Frankfurter Architektur-und Designagentur Stylepark organisiert.

Fünfinternational führende Architekten beteiligten sich mit ihren Zukunfts-Entwür-fen an diesem höchstdotierten deutschen Architekturpreis: Alison Brooks aus London, die sich vom selbstorganisierenden Chaos Mumbais inspiriert und herausgefordert sah. Zhang Ke aus Peking, bei dem sich statt der Autos die Straßen fortbewegen. Enric Ruiz-Geli von „Cloud Nine! “ aus Barcelona, der die naturverbundene Parole ausgab: „The trees will be the boss“ (Die Bäume werden bestimmen). Bjarke Ingels von „BlG“ aus Kopenhagen, der sehr viel mehr an die Selbsterneuerungskräfte der Städte glaubt als an zentrale Planung. Schließich der Sieger, Jürgen Mayer H. aus Berlin, der die digitale und elektrische Revolution des Autos zu Ende denkt und beschreibt, wie ein digital organisierter Straßenverkehr in Städten ohne Lärm, Schilderverhaue und Parkplatzhalden münden könnte. Auto und Stadt werden von Mayer gemeinsam zivilisiert.

Audi Vorstand Rupert Stadler glaubt für die Zukunft an eine Vielfalt verschiedener Lösungen: „Sie können in China eine Stadtplanung anders organisieren als beispiels-weise in Berlin, weil sie unterschiedliche Dinge respektieren müssen. Aber beide Welten werden einen Zukunftsansatz suchen und auch finden-ich bin fest davon überzeugt. “ Statt auf den großen umfassenden Entwurf zu warten, werden die Men-schen ihre Verkehrsprobleme wohl vor Ort, individuell und somit auf unterschied-liche Weise lösen müssen-gleichsam evolutionär. Dabei wird es kein Weltwochen-ende geben, an dem alles getan ist, und auch keinen Weltuntergang. Stanislav Lem, der bedeutendste Vertreter der philosophischen Science-Fiction, kleidete solche Herausforderungen einmal in folgendes Bild: ,,In einem gewissen Sinn ist die Welt wie ein Kranker, der glaubt, er müsse in Kürze gesunden oder bald sterben, und dem es nicht in den Sinn kommt, dass er kränkelnd ein hohes Alter erreichen könnte." Welche Dimension das Thema urbane Mobilität annehmen wird, mögen hier ein paar statistische Daten andeuten: Vier Fünftel des Bevökerungszuwachses der Entwick-lungsländer erfolgt in städtischen Ballungsgebieten wie Kairo, Kalkutta, Dakar oder Mexiko City. über zwanzig Städte in der Welt haben heute schon mehr als zehn Mil-lionen Einwohner. lm Jahre 2015 werden sich dreizehn von 17 Megacities in Afrika, Asien und dem subindischen Kontinent befinden. ,,Nahezu das gesamte Wachstum der Weltbevöikerung wird sich in Zukunft auf die Städte der weniger entwickelten Länder konzentrieren", fasst die Deutsche Stiftung Weltbevökerung die Entwickldung zusammen. Die großen Migrantenströme der Gegenwart erfolgen nicht zwischen verschiedenen Nationen, sondern zwischen Stadt und Land.

Neben vielen Problemen bieten diese Ballungsräume aber auch Chancen. Mega-städte bestehen nicht nur aus Chaos, Slums, Kriminalitäts-und Müllproblemen, sie sind auch Wachstumsinseln. „Urbane Gebiete bieten Chancen auf mehr Wohlstand, weil sie durch funktionierender Märkte Menschen Chancen eröffnen, Kapital aufzu-bauen-und höhere Erträge aus ihrer Arbeitskraft zu erzielen“, schreibt die Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht. „Städte wachsen, weil sie im Schnitt bessere sozioökonomische Bedingungen bieten als ländliche  Gebiete“, stellt auch das World Ressources Institute fest. Schulen und Gesundheitsdienste sind für mehr Menschen zugänglich, qualifiziertere Arbeitsplätze wirken sich positiv auf Kaufltraft und das Konsumniveau der Menschen aus. Auf der südlichen Halbkugel ist es nirgendwo größer als in den Megastädten. Sie üben eine Sogwirkung auf die Landbevölkerung aus, die sich Arbeit, höheres Einkommen und Zugang zu einer besseren Infrastruk-tur erhofft. In Asien werden 2030 mehr als die Hälfte, in Lateinamerika sogar über 8o Prozent der Menschen in urbanen Gebieten leben.

Die Entwürfe der Architekten des Audi Urban Future Award erheben nicht den An-spruch prognostischer Zuverlässigkeit, sondern sind Szenarien, also Entwürfe ver-schiedener möglicher Zukünfte. Bei der Suche nach der Mobilifät von Morgen emp-fiehlt sich daher der Wahlspruch des Philosophen Karl Popper: „Unser Wissen ist kritisches Raten. “ Es geht weniger um Voraussagen als um die wünschenswerte Ge-staltung der Zukunft. Städte ohne Lärm, Verkehr ohne Lärm, Abgase und Unfälle, Fliisse mit sauberem Wasser, Familien mit Zusammenhalt, Schulen mit Spaß: All dies sind Szenarien, die verdeckte Optionen und Wertvorstellungen verraten, über die im Hier und Jetzt diskutiert werden muss. Dieser andauernde Prozess birgt die Chance, dass Ideen aufgegriffen, verstärkt und im Austausch mit allen möglichen Argumenten weiterentwickelt werden. Und genau dazu will der Audi Urban Future Award anregen. Ganz nach einer Einsicht des heiligen Augustinus: „Die Suche ist gesprächiger als der Fund. “


Brücken in die Zukunft 2

Gespräch zwischen Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzen-der der Audi AG, und Christian Gärtner, Kurator und Vorstand der Architektur-und Desgin-Plattform Style-park, über den Audi Urban Future Award 2010.

WELTBILDER:Autobauer und Architekten sind tra-ditionell in sehr unterschiedlichen Kulturen verwurzelt. Prallen da nicht sehr unterschiedliche Weltbilder aufei-nander? Wie funktioniert das beim „Audi Urban Future Award“?

RUPERT STADLER:Erstaunlicherweise sehr gut,Bei di-versen Treffen zwischen Stylepark, dem Audi Think Tank und den Architekten sind Ideen ausgetauscht und Konzepte besprochen worden-in manchen Momenten mussten Wir uns auch zusammenraufen.Auch im Vor-stand haben Wir sehr intensiv darüber diskutiert, ob wir dieses Projekt mit den Inhalten und der Konzeption, die dahinter steht, realisieren,Für ein Automobilunterneh-men erfordert es elnen gewissen Mut,sich auf dieses Gebiet vOrzuwagen und der Gesellschaft die Frage Zu stellen∶Wie siehtes denn mit uns aus in Zukunft? Wobei Wir uns von der festen Überzeugung leiten lassen,dass unsere Kunden auch in 20 oder 30 Jahren individuell mobil sein wollen. Das Automobil spielt dabei eine Rolle und wird seinen Platz haben.Entscheidend wird sein,wie wif das ausgestalten. Welche Rolle soll das Auto in der Zukunft spielcn,und wie können Wir es entspre-chend den Anforderungen unserer Kunden weiterent-wickeln? Dafür brauchen wir auch Impulse und Ideen von außen,gerade wenn es um die künftige Entwicklung der Städte und Metropolen geht. Und da bin ich bisher sehr zufrieden.Wir haben auch im Hause einen kleinen Think Tank mit Mitarbeitern aus Marketing, Vertrieb,Design und Technik organisiert, damit Wir unterschied-lichste Ideen ins Unternehmen hineintragen und kon-kretisieren können. Dabei steht für uns der Aufbau ei-nes Wissensmanagements im Vordergrund, um uns für die Anforderungen der Zukunft entsprechend aufzustel-len und unserer Zeit voraus zu sein. Wir brauchen Flexi-bilität, um uns weiter entwickeln zu können und für die Mobilität der Zukunft gewappnet zu sein.

CHRISTIAN GÄRTNER:Für uns von Stylepark ist das auch eine sehr positive Erfahrung. Architekturdebatten werden sonst immer in einem kleinen Kreis von Archi-tekten geführt und sind deshalb ein ziemlicher ,,closed shop". Doch auf diese Art werden wir bei der Gestaltung von Zukunft in den Städten keine Relevanz gewinnen. Wir müssen die.,Stakeholder" der Diskussion mit an den Tisch nehmen. Und Audi mit einer Produktion von einer Million Fahrzeugen im Jahr ist weltweit absolut ein ,,Stakeholder" und wichtiger Partner bei der Diskus-sion, wie Städte künftig aussehen sollcn. Ich war erstaunt darüber, wie wenig Architekten darüber Bcscheid wis-sen, wie ein Auto entsteht, was es in Zukunft sein und welche Aufgaben es erfüllen kann. Mir hat in der Zusam-menarbeit gefallen, wie offen sich Audi der Diskussion gestellt hat, wie hoch die Bereitschaft der verschiedenen Gruppen war, voneinander zu lernen-und auch die jeweiligen Sphären zu respektieren. 

RUPERT STADLER:Die teilnehmenden Architekten ha-ben sicherlich mehr Verständnis für die Situation eines Automobilherstellers gewonnen, für Produkt-Lebenszyk-len und für eine Wettbewerbsdynamik, der wir uns stel-len müssen. Wir wiederum haben gelernt, mit welchem Kreativpotential in der Architektur gearbeitet wird, wie ernsthaft und intensiv man dort tatsächlich -und sei es manchmal auch ein bisschen abstrakt-über Zukunft nachdenkt. Wir waren überrascht, wie schnell technolo-gische Fortschritte von Architekten wahrgenommen, angenommen und in entsprechenden Projekten umge-setztwerden.Das hatviel mit Geschwindigkeit und ldeen- reichtum zu tun. Als Automobilhersteller mit dem Wort „Vorsprung“ im Markenclaim, müssen wir in der Lage sein, konventionelle Seh-und Denkgewohnheiten lau-fend zu hinterfragen, um innovativ zu bleiben.

CHRISTIAN GÄRTNER:Was uns beide bei einer ersten Zwischenpräsentation in London überrascht hat,war die Tatsache, dass sich die Architekten erst mal um die Definition des Autos gekümmert haben. Sie haben über-legt∶ Was ist das Auto überhaupt? Welche kulturelle Rol-le spielt es? Da kam von den Autobauern die Reaktion∶Leute, das ist eigentlich unser Metier, das können wir besser als ihr. Von euch erwarten Wir elnen themati-schen Zugang, der die Stärken und Kompetenzen der Architcktur einbringt.Gemeinsam haben Wir dann das Thema des Wettbewerbs noch einmal stärker fokussiert∶ Was heißt es, in Prozessen zu denken? Was heißt es, ein so komplexes Produkt wie das Auto in seinen verschie-denen Bestandteilen verstehen zu lernen? Und was für Potentiale entstehen für die Stadtentwicklung der Zu-kunft daraus? Alle Wettbewerbsbeiträge hier in Venedig zelgen∶ Der Ansatz stimmt, hier geht eine unglaublich fruchtbare Diskussion los.

WELTBILDER:Vor 50 Jahren imaginierte man für die Zukunft fliegende Autos mit Atomantrieb und schwim-mende Städte.Inzwischen ist von den Grenzen des Wachstums die Rede. Nun glaubtjajede Generation im-mer, sie befinde sich an elner Zeitenwende.Wie hat sich in unserem Herangehen an die Zukunft verändert?

RUPERT STADLER:Die Veränderungsgeschwindigkeit hat in den letzten Jahrzehnten eine neue Dimension bekommen.Die Weiterentwicklung des Automobils war in den Jahren 1950 bis ungefähr 1980 gewissermaßen beschreibbar.Aber die Veränderungsgeschwindigkeit, die wir jetzt vor uns haben, mit Elcktrifizierung, mit neuen Antrieben, neuen Kommunikationstechnologien, ist viel größer und die Entwicklung entsprechend schwie-riger vorherzusagen. Ein Audi A8 ist heute zugleich eine per Hotspots und W-Lan vernetzte Kommunikations-zentrale mitsamt iPad. Das kommt uns vollkommen normal vor, obwohl diese Technologic vor ein paar Jah-ren noch in den Kinderschuhen steckten. Die Zyklen der Erneuerung werden immer kürzer. Damit müssen wir lernen umzugehen und dabei ein Stück Flexibilität zu wahren, um auch immer wieder einen Schritt voraus zu sein.

CHRISTIAN GÄRTNER:Wir haben anhand der Arbei-ten der Wettbewerbs-Teilnehmer sehr ausführlich da-rüber diskutiert: Ist Technologie eigentlich am Ende, gewissermaßen müde? Ist das technologische Zeitalter, das mit dem Modernismus beschrieben ist, ans Ende ge-langt? Bekommen wir es jetzt mit ganz anderen, neuen Aspekten zu tun? Ich denke, die Technologie wird mög-licherweise zu einer anderen Gesellschaft führen, die dann mit anderen Prinzipien lebt. Aber die Technik bleibt ein wichtiger Treiber der Entwicklung. Der Moder-nismus-Begriff selbst scheint mir aber obsolet, das ist in ganz vielen Entwicklungen spürbar. Wir haben es viel mehr mit Themen wie Inter-Kulturalität und Social Responsibility zu tun. Das ist kein Feigenblatt mehr, das man sich überstüpt und kein Gutmenschentum. Es ist mittlerweile völlig klar, das gehört dazu. Diese Denk-struktur negiert niemand mehr. Für eine junge Gene-ration ist es wichtig, dass große Firmen nicht nur in Parolen und Plakaten über Zukunft sprechen, sondern wirklich verantwortlich darüber nachdenken.

RUPERT STADLER:Wenn man soziale Verantwortung und Verantwortung für die Zukunft übernehmen will, dann muss man das glaubwürdig vorleben und konkret im Unternehmen verankern. Wir haben uns im Rahmen des Audi Urban Future Awards sehr weit tür die Teil-nehmer geöffnet und tiefe Einblicke in unsere tägliche Arbeit und unsere Denkstrukturen gewährt. Soziale Ver-antwortung endet nicht damit, dass man eine Werbe-broschüre dazu auflegt. Das war einer der Gründe tür uns,intensiv mit den Architekten in Interaktion zu tre-ten und den Prozess mitzugestalten, um Zukunft entste-hen zu lassen und zu lernen.Ich glaube, das ist so auch verstanden worden.

WELTBILDER:Sehnen Sie sich nicht nach dem, was man einst „Planungssicherheit“ nannte?

RUPERT STADLER:Planungssicherheit ist ein relativer Begriff. Der beschreibt die Frage:Kann ich Risiken ver-meiden oder Angstzustände beseitigen? Ich glaube, dass unsere Gesellschaft und wir als Unternehmen längst dazu übergegangen sind, permanentin Szenarien zu denken.Das fordert das fragile Umfeld eigentlich ständig von uns. Eine hundertprozentige Planungssicherheit gab es nie und wird es auch nie geben. Ich glaube, dass der-jenige Unternehmer am ehesten Sicherheit für seine Unternehmen und seine Mitarbeiter bekommt, der in der Lage ist, den Suchprozess offen zu gestalten und da-durch Impulse aus allen Bereichen wie ein Seismograph wahrnimmt. Wir sind nun einmal verantwortlich für 58000 Mitarbeiter und deren Familien. Wenn wir uns mit gesellschaftlichen Fragen, dem Thema Urbanität und den Metropolen der Welt auseinandersetzen, in de-nen Menschen leben und ihren Geschäften nachgehen, dann müssen wir wissen, was da passiert, damit wir die richtigen Antworten für die Zukunft geben können.

WELTBILDER:Wie demokratisch wird denn der Pro-zess der Veränderungen sein? Wird die Stadt der Zukunft eher von oben diktiert oder ist sie das Ergebnis von Selbstorganisation und Mitbestimmung?

RUPERT STADLER:Wir haben genau diese Frage sehr intensiv auch in der Jury des Audi Urban Future Award diskutiert. Ich bin der Meinung, dass eine Gesellschaft das verändert, was sie unter den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen zulässt. Die Gesell-schaft in Summe wird immer Meinungsbildner haben, die bestimmte Dinge zulassen,akzeptieren oder nicht akzeptieren.Das schließt natürlich ein, dass wir unter-schiedliche politische Systeme haben. Sie können in China eine Stadtplanung anders organisieren als bei-spielsweise in Deutschland, weil sie unterschiedliche Dinge respektieren müssen. Aber beide Welten werden einen Zukunftsansatz suchen und Antworten darauf finden-davon bin ich fest überzeugt.

CHRISTIAN GÄRTNER∶ Wir sehen das bereits in den unterschiedlichen Entwürfen. In der preisgekrönten Arbeit von Jürgen Mayer H. steckt die Ambivalenz, die die Virtualisierung des Lebens in sich birgt. Das zeigt auch die Debatte über Google Street View. Es werden große Fragen aufgeworfen∶Wie definiere ich meine per-sönliche Sphäre, welche Informationen lasse ich über mich zu und welche lasse ich an mich heran? Da gerät auch ein Unternehmen wie Audi, das seinen Kunden mit dem Auto ebenfalls eine Sphäre zur Verfügung stellt, plötzlich in die Rolle des Filters von Informationen. Es wird zum Hüter der Persönlichkeit des Kunden.Was kommt da auf ein Automobilunternehtnen zu? Da ste-cken ganz viele Aspekte von Mitbestimmung und Demo-kratie drin und selbstverständlich die Frage,wie man solche Strukturen demokratisch gestalten kann.

WELTBILDER:Der Autohersteller findet sich plötz-lich in einer Position, die er gar nicht angestrebt hat, und dem Auto werden plötzlich Aufgaben zugewiesen, für die es gar nicht gemacht ist.

RUPERT STADLER:Das war im Fall des Mobiltelefons doch genauso. Wer hätte Vor einigen Jahren geahnt, was mit einem solchen Gerät heute alles möglich ist. Und vor den gleichen Herausforderungen stehen wir auch heute als Automobilhersteller. Selbst wenn der Kunde morgens und abends eine Stunde im Stau steht, kann er diese Zeit sinnvoll nutzen. Ich sage immer zu meinen Mitarbei-tern: In dieser Zeit gehört er uns. Wir müssen ihm also das zugänglich machen, was er gerne haben möchte. Wenn er gerne eine iPod-Schnittstelle oder W-Lan nut-zen möchte, dann bringen wir das ins Auto. Denn Auto ist heute nicht nur Teil der physischen, sondern auch der virtuellen Mobilität. Und wenn wir heute in unsere eigenen Entwicklungsprozesse schauen, dann arbeiten wir doch längst mit diesen Technologien. Virtuelle Bea-lität ist gleichsam Realität, unter anderem auch, weil sie ein Faktor zur Kostensenkung ist.

CHRISTIAN GÄRTNER:Wenn ich dazu einwerfen darf: Das Auto ist ein kulturell gepriätes Gut. Das Auto ist für die Menschen nicht mehr neu, sondern man ist es ge-wohnt. Odor anders gesagt: Das Auto ist gelernt. Gleich-zeitig hat es jenseits der Mobilität aber immer andere Funktionen mitgetragen -vielleicht subkutan und nicht immer ganz bewusst. Es ist einfach so, dass man sich im Auto beispielsweise privat fühlt. Das Auto ist ein Kokon und schafft eine Privatsphäre. Sie wird jetzt mit neuen Funktionalitäten aufgeladen. Es handelt sich um mobile Bewegung im privaten Raum und deshalb kontmt auch die Frage auf: Was möchte ich denn da alles dabei ha-ben? Bei unserer Zwischenpräsentation in London wurde gerade das neue iPad vorgestellt und die Leute standen vor den Geschäften Schlange. Ich glaube aber, dass solche einzelnen Gerätschaften nicht die Zukunft sind, sondern dass wir größere Zusammenhänge be-kommen werden, in denen Systeme funktionieren. Und da ist das Auto ein hervorragend bewährter Gegen-stand...

RUPERT STADLER:... es ist ein integraler Bestandteil.

WELTBILDER:Solche Umbrüche und Entwicklungs-sprünge müssten für den Ingenieur doch überaus reiz-volle Zeiten sein,Man kann endlich mal etwas vollkom-men Neues machen...

RUPERT STADLER:Absolut Wir machen das ja auch nicht zum Selbstzweck, sondern wollen ein attraktiver Arbeitgeber bleiben.Wir wollen die besten Talente für uns gewinnen, und wir müssen deshalb auch den gröb11t-möglichen Freiheitsgrad gewähren. Doch bei allen lang-fristigen Visionen haben Wir auch eine wirtschaftliche Verantwortung für das Unternehmen, an der Wir gemes-sen werden.Wir müssen deshalb versuchen, diese bei-den Anforderungen so gut wie möglich in Einklang zu bringen.Das ist unsere Aufgabe und aus diesem Grund versuchen Wir, Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, zu lernen und uns schnell und flexibel weiterzuent-wickeln.Nur so können wir auch mit neuen Produkten und Ideen die Ersten am Markt sein.

WELTBILDER:Herr Gärtner, warum haben Sie für die Prä1sentation des Audi Urban Future Award Venedig ausgesucht? Etwa damit Herr Stadler nicht mit dem Auto vorfahren kann?

CHRISTIAN GÄRTNER:Ich habe wirklich nichts gegen Autos, sondern bin sogar ein Fan davon. Nein, Venedig ist als Ort der Architektur-Diskussion einfach etabliert. Außerdem ist Venedig vielleicht das radikalste Experi-ment, was menschliche Urbanisation angeht - zumin-dest für unseren Kulturkreis. Deshalb ist Venedig ein Ort, an dem solche Themen noch einmal in einer ganz anderen Art wahrgenommen werden. Wenn Sie so ei-nen Wettbewerb in Venedig präsentieren, dann ist das so, als ob man die Konturen noch einmal schärfen wür-de. Das hat uns hier an dieser Stadt gereizt.

RUPERT STADLER:Es ist ein großer Vorteil, dass wir hier am Rande der Architektur-Biennale zusammen kommen. Hier vernetzt sich genau das Publikum, das wir mit unserem ersten Audi Urban Future Award ansprechen wollen.
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